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Der inflationäre Gebrauch des Begriffes „Kultur“

Anmerkungen zu einem Phänomen

Ist es Ihnen auch schon aufgefallen? In diesem unserem Lande „kulturt“ es heftig. Da wird etwa von „Streitkultur“ gesprochen, wobei ich mich frage, was daran „Kultur“ sein soll, wenn mehrere oder zwei Menschen sich streiten. Auch die „Erinnerungskultur“ und „Gedenkkultur“ feiert fröhliche Urständ, bis wir dann endlich bei der „Esskultur“ angelangt sind, wobei ich in diesem Fall den Anhang „Kultur“ als treffend empfinde.

Bei einer Ideenfindung, Neudeutsch: „Brainstorming“, zum Thema der Begrifflichkeit von Kultur, trifft der Suchende auf eine breit gefächerte Palette von Möglichkeiten und Bereichen, beginnend mit der Feststellung, dass Kultur den Gegensatz zu Natur bildet. Diesem Wort haftet etwas Eigentümliches an, denn es wertet die Begriffe, an die es so einfach angehängt wird, auf. Bestimmt hat „Streitkultur“, als ein sehr gutes Beispiel für den „Ausverkauf“ dieses Wortes, mit Sicherheit äußerst selten etwas mit Kultur zu tun. Da gefällt mir die „Gesprächs- und Weinkultur, die Theater- und Medienkultur“ schon wesentlich besser. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob es eine richtige oder eine falsche Kultur gibt und ob Kultur „gut“ oder „schlecht“ sein kann. Was möchten wir erreichen, indem wir diesen Terminus so häufig bemühen?

Kommt es lediglich darauf an, der Kultur einen überzeugenden und vor allem positiven Platz einzuräumen, um damit jeden Zweifel im Keim zu ersticken, der sich negativ besetzten Begrifflichkeiten, wie dem Streit, skeptisch nähern könnte? Dabei ist Kultur beileibe nicht für alle Menschen auf dieser Erde mit der gleichen Definition besetzt, wie beispielsweise in Europa. Sprechen wir in Deutschland von einem „kultvierten Menschen“ so assoziieren wir weit mehr, als eine Person, die den Umgang mit Messer und Gabel perfekt beherrscht. Kultur lässt sich auch nicht lediglich für ein Land und eine Region vereinnahmen, denn, wie könnte es anders sein, was Kultur ist und was nicht, unterliegt immer einer völlig subjektiven Betrachtungsweise. Sicherlich betrachten nämlich auch Menschen, die zum Beispiel noch in Hütten oder Zelten leben sowie ihr Leben, ihre Werte und ihre Vorstellungen NICHT als „Un- Kultur“ in unserem Sinne. Denn das, was wir häufig als „barbarisch“ bezeichnen, und damit Kultur nicht im Gegensatz zur Natur sehen, sondern diese als einen Kontrast zu „zivilisiert“ darstellen, kommt natürlich einer klaren (negativen) Bewertung gleich. Aber ursprünglich meint der griechische „barbaros“ als auch der lateinische „barbarus“ damit lediglich den Fremden, der nicht in der eigenen Gegend ansässig sind. Also eine eher sachliche Kategorisierung.
Bei uns jedoch erfährt der „Barbar“ eine negative Einstufung und hat eben gerade nichts mit der von uns propagierten Kultur gemein. Da schlachtet der Mörder seine Opfer „barbarisch“ ab oder jemand benimmt sich einfach barbarisch. Kultur, so wird klar, ist also nicht lediglich eine objektive Begrifflichkeit. Die Inhalte der Worte, die das Anhängsel „Kultur“ tragen, sollen schlicht und einfach aufgewertet werden. Dies glückt umso mehr, als sich jeder von uns unter „Kultur“ zwar immer etwas anderes, selten jedoch wohl etwas schlechtes vorstellt.
Wie wir wissen, gibt es noch Bereiche auf unserem Globus, in denen Menschen leben die, mit unseren Maßstäben gemessen, noch völlig unkultiviert sind. Wenn wir jedoch davon ausgehen, dass sie einfach völlig anders leben als wir, müssen wir uns fragen, was uns das Recht gibt, unsere Maßstäbe einfach an die Lebensgewohnheiten anderer Menschen anzulegen.
Da sollten wir uns lieber darum bemühen, den Streit nicht unbedingt mit dem Wort „Kultur“ aufwerten zu wollen, sondern Vermeidungsstrategien üben, die einen solchen erst gar nicht aufkommen lassen können!